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FuckUp Nights: Was ist Resilienz?

Anfang Juni habe ich gemeinsam mit der Florus wieder eine FuckUp Night veranstaltet. Bereits zum fünften Mal hörte das Publikum drei spannende Beiträge zum Thema „unternehmerisches Scheitern“. Ich möchte die tollen Vorträge von Thomas Kneissl und Michael Moser nicht abwerten, aber mein persönliches Highlight war an diesem Abend der Vortrag des Insolvenzverwalters Prof. Dr. Florian Stapper.


Er berichtete über seine Tätigkeit und erklärte, wie er mittels Insolvenzplanverfahren seine vermeintlich „toten“ Mandanten saniert. Dabei zeigte sich, dass seine Arbeit nicht nur wirtschaftliche und juristische, sondern auch psychologische Aspekte umfasst. In diesem Zusammenhang verwendete er einen Begriff, der mir besonders im Gedächtnis geblieben ist: „Resilienz“. Unter Resilienz versteht man psychische Widerstandskraft; die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen zu überstehen, ohne davon anhaltend beeinträchtigt zu werden – wäre der Begriff nicht bei der FuckUp Night geklärt worden, hätte ich den Duden bemühen müssen. Für Stapper jedenfalls ist diese Eigenschaft eine wichtige Fähigkeit von erfolgreichen Menschen; er nannte unter anderem Bill Clinton, Sigmar Gabriel und die Klitschko-Brüder als Beispiele.



Auch ich habe mir Gedanken zu diesem Thema gemacht und liefere ein weiteres Beispiel für Resilienz.


15. September 2001, Schipkau, 40 km von Cottbus entfernt. Die amerikanische Indy-Car-Serie gastiert am Lausitzring; fast 1000 PS starke Rennwägen mit weit über 300 km/h Spitzengeschwindigkeit. Nach den Terroranschlägen vom 11. September ist lange unklar, ob das Rennen überhaupt gestartet werden soll. Schließlich fällt die Entscheidung: Wir lassen den Terror nicht gewinnen und fahren.


Das Rennen ist in vollem Gange und bietet beste Unterhaltung. Kurz vor dem Ende des 154-Runden-Rennens liegt der Italiener Alex Zanardi vor Michael Andretti in Führung. Das ist eine Sensation, weil Zanardis Wagen in der bisherigen Saison zu schwach war, um an der Spitze zu bestehen. Doch Zanardi, der die Serie bereits zweimal gewann und in der Formel 1 an der Seite von Ralf Schumacher antrat, ist an diesem Tag in Topform. Die Entscheidung um den Sieg muss zwischen Zanardi und Michael Andretti fallen. Zanardis Strategie sieht einen weiteren Boxenstopp vor, im Anschluss soll er Andretti auf der Strecke überholen. Andretti versucht, ohne weiteren Stopp ins Ziel zu kommen. Dafür muss er Benzin sparen und wäre für Zanardi leichte Beute.


Zanardis Boxenstopp läuft problemlos, doch als er die Boxenausfährt verlässt, geschieht das Unfassbare: Sein Wagen gerät, vermutlich aufgrund einer Ölspur, ins Schleudern und die Reifen berühren den Grünstreifen zwischen Rennstrecke und Boxeneinfahrt. Der Wagen verliert plötzlich jegliche Haftung und schleudert unkontrolliert auf die Strecke, an das Ende der Start-Ziel-Geraden zurück. Die Fahrzeuge sind an dieser Stelle 320 km/h schnell. Der erste Wagen kann dem schleudernden Zanardi noch ausweichen, doch Alex Tagliani hat keine Chance. Er trifft Zanardis Wagen seitlich, an der ungünstigsten Stelle und spaltet die gesamte Front – inklusive Zanardis Beinen - vom Rest des Fahrzeugs ab.


Es folgen dramatische Momente. Zanardi wird aus dem Wrack seines Fahrzeugs geborgen, wobei der herbeieilende Arzt auf dem Blut an der Unfallstelle ausrutscht. Die Ärzte kämpfen um das Leben des Italieners, der 80 Prozent seines Bluts verliert und auf dem Weg ins Krankenhaus siebenmal reanimiert wird. Noch an der Strecke erhält er von einem Priester die letzte Ölung. In einer achtstündigen Operation retten die Ärzte aber sein Leben – und seinen Geisteszustand. Zanardis Gehirn blieb von Schäden verschont, doch als er aus dem Koma erwacht, muss er feststellen, dass er beide Beine verloren hat. Er ist noch am Leben, doch seine Karriere, alles was ihn ausgemacht hat, ist zerstört.

 

28. August 2005, Oschersleben, Motorsport-Arena. 41.000 Zuschauer verfolgen den Meisterschaftslauf der Tourenwagen-Weltmeisterschaft auf der Strecke in der Nähe von Magdeburg. Drei BMW M3 haben sich vom Rest des Felds abgesetzt und kämpfen um den Sieg. Auf Platz 3 liegt Andy Priaulx, der amtierende Weltmeister der Serie. Davor Jörg Müller, ein deutscher Fahrer, der unter anderem bereits die 24 Stunden vom Nürburgring gewonnen hat. Priaulx benötigt jeden Punkt für die Titelverteidigung und Müller steht bei seinem Heimrennen besonders unter Strom. Doch die Sympathien des Publikums gehören dem Mann, der an der Spitze liegt und die beiden in Schach hält: Alex Zanardi.

 

Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus begann er die Reha, musste viele alltägliche Dinge von Grund auf neu lernen. Doch er ist ein Kämpfer und er hatte ein unvorstellbares Ziel: Die Rückkehr ins Rennauto. Zanardi:


„Rennen fahren ist mein Leben, darum muss ich weitermachen.“


Er entwickelte dafür eigene Beinprothesen, weil er mit den herkömmlichen unzufrieden war. Er experimentierte mit Speziallenkrädern, mit denen er Gas geben kann und lernte, mit einer Beinprothese zu bremsen.


2003, gerade zwei Jahre nach dem schrecklichen Unfall, kehrte er an den Lausitzring zurück und fuhr mit einem umgebauten Fahrzeug jene 13 Runden, die ihm zum Sieg gefehlt haben. Ein riesiger Medienauflauf begleitete ihn. Doch für Zanardi ging es nicht nur um die Symbolik: Die Zeiten, die er bei seinen Runden erzielte, hätten gereicht, um sich im Rennen, das an diesem Wochenende stattfindet, auf Startplatz 5 zu qualifizieren. 2005 erhielt Zanardi einen Vertrag bei BMW für die Tourenwagen-WM.

 

Das Auto hat das „Gaspedal“ am Lenkrad, außerdem lässt sich die Bremse mit einer Beinprothese bedienen - die Mechaniker hielten das für unmöglich, weil sie nicht glaubten, dass Zanardi mit der Prothese genug Druck auf das Pedal bekommt. Ansonsten ist das Auto baugleich mit den anderen BMW im Starterfeld.


Und führt nun das Rennen an. Priaulx und Müller versuchen alles; in der letzten Runde ist Müller neben Zanardi, sogar kurz vorbei. Doch der Italiener hält knallhart dagegen, presst sich wieder an die Spitze und gewinnt das Rennen.


Ein historischer Sieg, aber erst der Anfang. Er gewinnt zwei weitere Meisterschaftsläufe. 2006 wird er der erste beinamputierte Formel-1-Pilot, als er eine Testfahrt für BMW in Valencia absolviert. Der Autobauer macht ihn für seine unglaubliche Geschichte zum Markenbotschafter. 2016 gelingt Zanardi ein weiterer Sieg für die Münchner in der italienischen GT-Meisterschaft.


Zu diesem Zeitpunkt hat er aber schon längst eine neue Leidenschaft entdeckt – das Handbiking, also Fahrradfahren mit Handpedalen. Dabei zeigt er seinen Ehrgeiz, trainiert und nimmt erfolgreich an Wettbewerben teil. 2007 wird er Vierter beim Handbike-Marathon in New York, den er 2011 gewinnt. 2012 folgt der nächste Höhepunkt: Zanardi tritt bei den Paralympics an und gewinnt zwei Gold- und eine Silbermedaille; 2016 folgen zwei weitere Goldmedaillen.


Im Juli 2017 wird er übrigens mit dem Handbike und einem Rollstuhl beim Ironman Austria antreten, um sich für den Ironman Hawaii zu qualifizieren.


Mit seiner Geschichte hat Alex Zanardi viele Menschen inspiriert und sich allergrößten Respekt verdient. Er ist ein wahres Vorbild mit einem außergewöhnlichen Maß an Resilienz.

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